Diese Bibliothek, die auf die Welt blickt

DSC_2178Erzbischof Georg Gänswein segnete am 18. November 2015 die neuen Räumlichkeiten der Benedikt-Bibliothek (Foto: Stefan Loppacher).
DSC_2219Das Geschenk des Papa emeritus an die Bibliothek: ein keramikteller mit seinem päpstlichen Wappen (Foto: Stefan Loppacher).

Vatikanstadt, 18. Dezember  2015. Einen Monat nach der feierlichen Eröffnung der römischen "Bibliothek Joseph Ratzinger-Benedikt XVI.“ am "Collegio Teutonico" im Vatikan in Zusammenarbeit mit dem römischen Institut der Görres Gesellschaft, bieten wir unseren Leserinnen und Lesern  einen Beitrag von Giuseppina Buonanno an, Journalistin der Rizzoli-Gruppe, die an der Einweihung der Bibliothek persönlich teilnahm. Das Bibliotheksangebot an Büchern wächst von Tag zu Tag: Die Verlage Herder und Schell&Steiner haben mehrere Bücher zur Verfügung gestellt. Jeden Tag besuchen viele Studierende und Wissenschaftler die Bibliothek, andere informieren sich per Brief oder E-mail über deren Arbeit. Eine Gruppe von Freiwilligen istgerade dabei, die polnische und die griechische Sektion der Bibliothek auf den neusten Stand zu bringen, und die polnischen und griechischen Journalisten, die die Bibliothek in den letzen Wochen besuchten, haben über ihre Arbeit und Initiativen ausführlich berichtet.

 

von Maria Giuseppina Buonanno

Am oberen Treppenende angekommen, bietet sich uns ein beeindruckendes Bild. Die mehr als tausend Bände, die hier in den Regalen stehen, scheinen den Eintretenden regelrecht anzublicken, zu Herz und Verstand des Besuchers zu sprechen. Und das in 37 Sprachen. Sie sind alle Teil der römischen Bibliothek Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., die am 18. November am „Collegio Teutonico“ im Vatikan eingeweiht wurde. Mehr als 200 Bände hat der emeritierte Papst der Bibliothek selbst zur Verfügung gestellt, andere stammen von der Vatikanischen Verlagsbuchhandlung Lev oder wurden gestiftet. Wieder andere sind Zukäufe.

Joseph Ratzinger hat 102 Bücher geschrieben, den Großteil davon vor seiner Wahl zum Papst am 19. April 2005. Seine Werke wurden in mehr als 70 Sprachen übersetzt. Die Bibliothek ist entstanden, um diese Werke zu sammeln, und um hier die Arbeiten anderer Autoren aufzunehmen, die sich mit dem Denken Ratzingers befasst haben. Im Vatikan hat sie ein Zuhause gefunden, und von hier bietet sie sich   Wissenschaftlern aus aller Welt an. Und nicht nur ihnen.

Das theologische Denken Ratzingers enthält die Voraussetzung einer Botschaft, die sich an alle richtet. Die Reflexionen Ratzingers durchziehen Theologie und Philosophie, hinterfragen den Menschen, erhellen die Erfahrung des, aus Liebe zum Menschen, menschgewordenen Gottes.

In der Bibliothek kann der Blick auf dem Interview-Buch Licht der Welt verweilen, das Benedikt XVI. 2010 in Zusammenarbeit mit Peter Seewald geschrieben hat, und das auch ins Arabische und Armenische übersetzt wurde. Die hier behandelten Themen sind: der Priesterzölibat, der sexuelle Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche, die Ökumene, der Dialog der Christen mit Muslimen und Juden. Ja, sogar der Rücktritt eines Papstes. Themen, die uns immer zu denken geben.

Etwas später stößt man auf den Band Benedetto XVI – Servo di Dio e degli uomini, den die Vatikanische Verlagsbuchhandlung zum 10. Jahrestag der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst herausgegeben hat. Er enthält die Beiträge verschiedener Autoren, die sich mit dem Thema der Beziehung zwischen Glaube und Vernunft bei Ratzinger, seiner Beziehung zu Johannes Paul II. und seinem Beitrag zum II. Vatikanischen Konzil auseinandersetzen.

Die Aufmerksamkeit verlagert sich von einem Text zum anderen, an dem Fenster vorbei, das auf die Kuppel des Petersdoms blickt. Die Worte der Bücher vermischen sich mit dem Symbolbild der Basilika und lassen einen klaren Gedanken entstehen: die Ratzinger-Bibliothek hat ihre Entstehung nicht nur der Notwendigkeit zu verdanken, das reiche Schaffen eines bedeutenden Denkers der Kirche institutionell zu organisieren.

Zwischen dem von Benedikt XVI. für eine liturgische Feier benutzen Messbüchlein  und seiner  Trilogie über Jesus von Nazareth (von der – von 2007 bis heute – in 163 Ländern mehr als acht Millionen Bände verkauft wurden), wird dem Besucher klar, dass diese Bibliothek kein Museum ist, nicht nur Werke ausstellt. Sie kann vielmehr eine „Klinik für die Seele“ sein – wie es Kardinal Gianfranco Ravasi beschrieb, als er   in seiner lectio bei der Einweihung der Ratzinger-Bibliothek nach der Definition für eine Bibliothek gesucht und sie auch gefunden hat. Und dieser Ort kann auch nicht nur als Hommage an den emeritierten Papst entstanden sein, der im Gespräch mit einem Vertrauten in schlichter Demut selbst festgestellt hat, dass die Bibliothek ihren Daseinsgrund im „Dienst“ finden kann. Und diesen „Dienst“ leistet sie, indem sie schafft, die Nähe und den Dialog zwischen Mensch und Gott fördert.

In der theologischen Sicht Ratzingers tritt diese Verbindung deutlich zutage – wie  ein Leuchtturm, der sein ganzes Werk erhellt mit einem Licht, das manchmal jene blenden und verwirren kann, die meinen, sie könnten es nicht ganz erfassen. Und deshalb vielleicht Distanz halten. Und doch hat es Ratzinger verstanden, in seine Werke und Reflexionen das menschliche Dasein, das Leben des Menschen, seine Suche nach Glückseligkeit einfließen zu lassen. Auch in seinen drei Enzykliken –  Deus caritas est, Spe salvi, Caritas in veritate – hat Benedikt XVI. seinen Füllfederhalter sozusagen tief in das menschliche Empfinden eingetaucht, sich mit seiner winzig kleinen Schrift Themen wie Liebe, Hoffnung, soziale Gerechtigkeit gewidmet.

Die Ratzinger-Bibliothek bietet der Welt das theologische Denken des emeritierten Papstes dar. Und lässt es zugleich auch Ansporn sein zu neuen Reflexionen, Entdeckungen, Interpretationen, Mitteilungen. In ihren Regalen können schon bald neue Werke stehen, die Joseph Ratzingers Sicht Gottes, des Menschen und der Welt enthalten. Eine neue Geschichte seines theologischen Wirkens kann geschrieben und erzählt werden mit dem Wort, das Herz und Verstand durchbohrt.

Beim Verlassen der Ratzinger-Bibliothek gehen uns viele Gedanken durch den Kopf. Vor allem aber einer: „Ich komme bestimmt wieder“. In der Ahnung, Schimmer des Sehens mit dem Leuchten des Verstehens vermischen zu können.