Luca Caruso im Gespräch mit Pater Stephan Otto Horn, Schüler und Assistent von Joseph Ratzinger, L'OSSERVATORE ROMANO, lunedì-martedì 29-30 dicembre 2014.
Es gibt Begegnungen, die das Leben verändern. So war es bei Pater Stephan Otto Horn, als er 1970 Professor Joseph Ratzinger kennenlernte, der bald "Vater einer theologischen und auch spirituellen Familie" wurde. Pater Horn, der sein Schüler und Universitätsassistent in Regensburg war und der heute die Aufgabe wahrnimmt, Werk und Denken des Papstes durch Institutionen, die seinen Namen tragen, gegenwärtig zu halten, nennt diese Begegnung und seine Aufnahme in den Schülerkreis "eine der größten Gnaden, die mir in meinem Leben geschenkt wurden".
Wie verlief die Begegnung mit Ratzinger?
Ich habe meine theologischen Studien in Passau, einer wunderschönen Stadt an der Grenze zu Österreich, absolviert, wo die Salvatorianer, denen ich zugehöre, damals studierten. Mein Dogmatikprofessor dachte, ich könnte sein Nachfolger werden. Als ich nach Regensburg fuhr, teilte ich Professor Ratzinger mit, dass ich meine Promotionsarbeit unter der Leitung von Professor Michael Schmaus gefertigt hatte. Dieser hatte Ratzinger große Schwierigkeiten dadurch bereitet, dass er seine Habilitation und damit seine Laufbahn als Theologe verhindern wollte. Ratzinger hatte dann aber doch Erfolg und fand schließlich ein gutes Einvernehmen mit Professor Schmaus. Als ich zu Ratzinger kam, wusste ich nichts von alledem. Wir sprachen einfach über meine Dissertation.
In welchem Jahr war das?
Es war zu Anfang 1970. Er, Professor Ratzinger, war im Herbst 1969 nach Regensburg gekommen. Er nahm mich ohne weiteres und sehr wohlwollend an, obwohl ich von einer anderen theologischen Richtung herkam. Ähnlich war es bei den anderen 25 Studenten, die damals promovieren wollten. Wir trafen uns alle zwei, drei Wochen – aber nicht an der Universität, sondern im Priesterseminar, und wir spürten, dass bei ihm Theologie und Spiritualität eine Einheit bildeten. Das Treffen begann jeweils mit einer Messfeier, in der er selber oder einer von uns Priestern eine Homilie hielt. Dann diskutierten wir miteinander. Ratzinger war sich wohl nicht ganz sicher, ob es das Beste war, uns nicht einzeln, sondern durch diese Treffen zu begleiten. Bei diesen Doktorandenkolloquien legte jeder von uns Forschungsergebnisse vor, die wir dann in großer Freiheit und intensiv besprachen. Wenn einer von uns etwas vortrug, bezog Ratzinger nicht sogleich selbst Stellung dazu. Vielmehr fasste er den Beitrag zusammen – oft besser als wir selbst es konnten – und fügte erst später seine eigenen Überlegungen hinzu. Er hatte ein sehr klares Denken, drängte uns seine Auffassung aber nicht auf, sondern ließ uns in aller Freiheit diskutieren. Es ging ihm einfach darum, die Wahrheit zu finden. Und alles geschah in einer großen Schlichtheit.
Und ihre Dissertation?
Meine Habilitationsarbeit drehte sich um Leo den Großen und das Konzil von Chalcedon – nicht in christologischer, sondern in ekklesiologischer Sicht; es ging um die Beziehung des Nachfolgers Petri zum Konzil. Es war eine historische Arbeit, die Rom und Konstantinopel, Rom und die Kirchen des Ostens betraf und so zugleich eine ökumenische Dimension hatte. Das Konzil von Chalcedon ist ein Beispiel dafür, wie die Auffassung des Papstes und die der (anderen) Bischöfe zur Übereinstimmung geführt werden können. Ein historisches Thema also, aber zugleich eines, das für den Dialog zwischen der katholischen Kirche und der Orthodoxie hilfreich sein kann.
Und nach Ihrer Habilitation?
Zwei Jahre nach unserer Begegnung lud mich Ratzinger ein, sein Assistent zu werden, eine Aufgabe, die ich von 1972 bis 1977 wahrnahm, als er als Erzbischof nach München gerufen wurde. Ich blieb noch eine Zeit, und er kam als Erzbischof noch einige Male, um seine letzten Doktoranden zu begleiten. Später begannen die jährlichen Treffen des Schülerkreises, des Kreises seiner ehemaligen Schüler.
Entstand damals der Schülerkreis?
Nein, er entstand nachher, 1981, gegen Ende seines Wirkens als Erzbischof. Es ist freilich nicht ganz einfach, ein genaues Datum zu benennen. Zunächst gab es die Treffen und Kolloquien mit den Doktoranden. Zu Anfang 1978, Monate nach seiner Bischofsweihe und seiner Erhebung zum Kardinal, trafen sich seine Schüler – nicht nur die von Regensburg, sondern auch die von Bonn, Münster und Tübingen, da er an jeder Universität, an der er lehrte, eine Gruppe von Doktoranden hatte. Dieses Treffen war das erste gemeinsame. Ein paar Jahre später haben wir begonnen, die Treffen regelmäßig abzuhalten. Freilich führte Ratzinger schon in Tübingen und in Regensburg Treffen seiner Schüler mit anderen Professoren durch und lud so bedeutende Theologen wie Hans Urs von Balthasar, Karl Barth und andere dazu ein. Ein solches Treffen fand am Ende jeden akademischen Jahres an je anderen Orten statt, zu denen große Theologen zu Vorlesungen von ihm eingeladen wurden, und so konnten wir auch mit evangelischen Theologen oder mit Philosophen diskutieren. Aus diesen Erfahrungen erwuchsen die späteren Symposien des Schülerkreises mit ihm, zu denen er immer einen Dozenten einlud und bei denen wir uns zu Gebet, Studium und Gespräch über ein je anderes Thema trafen.
Wieviele Doktoranden waren es 1978?
In Regensburg waren es etwa 25 Doktoranden und Habilitanden. In den frühen Jahren des Schülerkreises waren wir mehr als 50.